Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung sind vulnerabler für psychische Erkrankungen als die Allgemeinbevölkerung. Bisher gibt es nur wenig Forschung, inwieweit achtsamkeitsbasierte Interventionen bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung zur Gesundheitsförderung beitragen können. Ziel der Studie ist die Entwicklung und Evaluation einer Achtsamkeitsintervention für Personen mit intellektueller Beeinträchtigung.
Methodik
Es wurde eine achtsamkeitsbasierte Gruppenintervention durchgeführt und anhand eines Kontrollgruppendesigns mit Prä- und Postinterviews evaluiert. Die aktive Kontrollgruppe umfasste eine Musikintervention. Die Interventionen umfassten jeweils 8 Sitzungen. Es nahmen insgesamt 21 Personen mit leichter und mittelgradiger intellektueller Beeinträchtigung teil. Im Rahmen der Interviews wurden Angst- und Depressionssymptome, Aggressivität, Besorgtheit und Anspannung erhoben. Zum Beginn und Ende der jeweiligen Sitzung wurde das Wohlbefinden der Teilnehmenden erfasst.
Ergebnisse
Die Achtsamkeitsintervention im Gruppensetting führte über die Zeit zu einer signifikanten Reduzierung von Angst- und Depressionssymptomen und Aggressivität, während in der aktiven Kontrollgruppe die Aggressivität und Anspannung abnahm. Darüber hinaus zeigte sich deskriptiv für die Interventionsgruppe ein gleichbleibendes Wohlbefinden während der Sitzungen. Dagegen ergab sich für die aktive Kontrollgruppe im Mittel eine positive Veränderung des Wohlbefindens.
Schlussfolgerung
Achtsamkeitsbasierte Interventionen sollten im Rahmen einer multimodalen Behandlung bei psychischen Erkrankungen bei Personen mit intellektueller Beeinträchtigung einbezogen werden. Eine aktivere Gestaltung der Sitzungen und die Verwendung von Musik bei Achtsamkeitsinterventionen erscheinen lohnenswert.
Hinweise
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Internationale Studien berichten eine Prävalenz der intellektuellen Beeinträchtigung zwischen 1 und 3 %, wobei etwa 80 % der Betroffenen eine leichte intellektuelle Beeinträchtigung (Intelligenzquotient [IQ] 50–59), 12 % eine mittelgradige intellektuelle Beeinträchtigung (IQ 35–49) und 7 % eine schwere (IQ 20–34) bzw. 1 % eine schwerste intellektuelle Beeinträchtigung (IQ < 20) aufweisen. In Deutschland liegt bei etwa 1 Mio. Menschen eine Störung der geistigen Entwicklung bzw. eine hirnorganische Störung vor [24]. Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung weisen häufig Einschränkungen in den Bereichen Kognition, Sprache, Motorik und soziale Kompetenz auf. Diese Beeinträchtigungen können zu Schwierigkeiten im Alltag und in der Gesellschaft führen [6].
Darüber hinaus sind Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung anfälliger für psychische Erkrankungen als die Allgemeinbevölkerung [3]. Das Risiko, an einer psychischen Störung zu erkranken, ist im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung 3‑ bis 4‑mal erhöht [8]. Verschiedene nationale und internationale Studien [z. B. 3, 21] zeigen, dass insbesondere affektive Störungen, Angststörungen, Zwangsstörungen, psychotische Störungen und Persönlichkeitsstörungen häufiger bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung auftreten. Darüber hinaus treten vermehrt Verhaltensauffälligkeiten wie z. B. aggressive Verhaltensformen (fremd- und sachaggressives Verhalten, Selbstverletzung) auf [3]. Verschiedene Studien berichten, dass Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung in Bezug auf psychotherapeutische Angebote unterversorgt sind [20]. Häufig werden Psychopharmaka zur Behandlung der psychischen Erkrankungen verordnet [20]. Zusätzlich werden häufig die psychischen Symptome dem üblichen Verhaltensrepertoire der Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung zugeschrieben und daher psychische Störungen bei den Betroffenen nicht identifiziert („diagnostic overshadowing“ [16, 19]).
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Aus der Forschung ist zudem bekannt, dass die angewandten Bewältigungsstrategien von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung oft dysfunktional sind und Bewältigungserfahrungen aus Problemsituationen negativ erlebt werden [12, 18]. Darüber hinaus weisen die Betroffenen eine geringere Stresstoleranz auf [16]. Daher sollten Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung mit Maßnahmen unterstützt werden, damit diese positive Bewältigungserfahrungen erleben und zu einer verbesserten Stressbewältigung beitragen.
Achtsamkeitsbasierte Interventionen können sich bei der Unterstützung der Stressbewältigung und der Reduktion von psychischen Symptomen bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung als hilfreich erweisen [5]. Diese Interventionen sollen die Aufmerksamkeit auf die inneren und äußeren Erfahrungen im jetzigen Augenblick lenken, um diese bewusst wahrzunehmen, aber ohne diese zu bewerten [1]. Bisher gibt es wenige Studien, die die Wirksamkeit von achtsamkeitsbasierten Interventionen bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung untersucht haben. Ein Großteil der Interventionsstudien untersuchte die Wirksamkeit des Programms „Soles of the Feet“ von Singh et al. [22, 23]. Durch das Training sollen Teilnehmende ihren Ärger und ihre Aggressionen lernen zu kontrollieren, indem sie ihre Aufmerksamkeit von negativen Gedanken, Ereignissen oder Situationen zu neutralen Körperteilen lenken [22, 23]. In einer Review-Studie mit 18 Studien (v. a. „Soles of the Feet“-Programm) berichteten Harper et al. [11], dass achtsamkeitsbasierte Interventionen bei unterschiedlichen Schweregraden der intellektuellen Beeinträchtigung Aggressivität, Stress, Depression und Angst reduzierten. Allerdings umfasste keine der Interventionsstudien eine Kontrollgruppe. Zudem lag die Stichprobengröße bei fast allen Studien zwischen ein bis drei Teilnehmenden, sodass individuelle Trainings durchgeführt wurden. Allerdings zeigte sich in der Studie von Dillon et al. [7], dass ein Gruppensetting bei der Achtsamkeitsintervention förderlich sein kann. Ebenso stellten Croom et al. [4] fest, dass eine achtsamkeitsbasierte Intervention im Gruppensetting mit 7 Teilnehmenden mit leichter intellektueller Beeinträchtigung zu einer signifikanten Zunahme des Wohlbefindens nach der Intervention führte.
Ziel dieser Studie ist es, eine achtsamkeitsbasierte Intervention für Menschen mit leichter und mittlerer intellektueller Beeinträchtigung als Gruppenintervention zu entwickeln, durchzuführen und mittels eines Prä-Post-Kontrollgruppendesigns zu evaluieren. Es wird angenommen, dass die Teilnehmenden der achtsamkeitsbasierten Intervention sich hinsichtlich Aggressivität, psychischer Gesundheit (Depression, Angst), Besorgtheit und Anspannung im Vergleich zu einer aktiven Kontrollgruppe verbessern. Des Weiteren wird angenommen, dass das Wohlbefinden während der Sitzungen über die Zeit zunimmt.
Methodik
Untersuchungsdesign und Rekrutierung
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um ein Kontrollgruppendesign mit Prä- und Postinterviews. Es wurde eine aktive Kontrollgruppe einbezogen. Die Rekrutierung der Teilnehmenden erfolgte über die ortsansässige Werkstatt für behinderte Menschen (Lebenshilfe e. V.). Die Auswahl der Teilnehmenden für die Interventionsstudie erfolgte durch die Werkstatt für behinderte Menschen. Dabei wurden 3 Gruppen mit jeweils 7 Teilnehmenden von unterschiedlichen Arbeitsgruppen (z. B. Druckerei, Lager, Montage) aus der gleichen Werkstatt zusammengestellt. Die Zusammenstellung erfolgte insbesondere aus organisatorischen Gründen (z. B. unterschiedliche Arbeitszeiten). Die Zuweisung dieser Gruppen zur Interventionsgruppe und aktiven Kontrollgruppe erfolgte zufällig. Die Studie wurde gemäß der Deklaration von Helsinki durchgeführt und von der Ethikkommission der Universität Jena für ethisch unbedenklich erklärt.
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Stichprobe
Es nahmen insgesamt 21 Personen (Interventionsgruppe: n = 14, Kontrollgruppe n = 7) an der Interventionsstudie teil. Die Stichprobe bestand aus 11 Frauen und 10 Männern. Das durchschnittliche Alter lag in der Gesamtstichprobe bei 33,67 (SD = 6,17) Jahre. Es lag bei einem Großteil der Teilnehmenden (n = 16) eine mittelgradige intellektuelle Beeinträchtigung vor und bei 5 Teilnehmenden eine leichte intellektuelle Beeinträchtigung. Alle Teilnehmenden waren zum Zeitpunkt der Erhebung in der ortsansässigen Werkstatt für behinderte Menschen (Lebenshilfe e. V.) beschäftigt. Darüber hinaus waren 38 % der Teilnehmenden in Wohnstätten der Lebenshilfe untergebracht, während 62 % bei Familienangehörigen oder alleine wohnten. In Tab. 1 sind die demografischen Merkmale getrennt nach den beiden Gruppen aufgeführt. Die Teilnehmenden der Interventionsgruppe und der Kontrollgruppe nahmen im Mittel an 6 von 8 Sitzungen (Interventionsgruppe: M = 6,00, SD = 1,66; Kontrollgruppe: M = 6,14, SD = 0,69; t = 0,22, p = 0,416) teil. Eine Durchführung der Übungen außerhalb der Sitzungen wurde von weniger als der Hälfte der Teilnehmenden berichtet.
Tab. 1
Soziodemografische Daten der Teilnehmenden beider Gruppen
Die Interventionsgruppe nahm an einem achtwöchigen Achtsamkeitstraining mit 45-minütigen Sitzungen teil. Das Training beinhaltete praktische Achtsamkeitsübungen, die auf den Prinzipien der „mindfulness-based stress reduction“ [MBSR, 13] basierten und endete jeweils mit einer Atemübung. Die Achtsamkeitsübungen wurden nach einer Einführungssitzung (Sitzung 1) durchgeführt und umfassten eine Gehmeditation (Sitzung 2), eine Fühlmeditation (Sitzung 3), Achtsames Essen (Sitzung 4), Achtsames Yoga (Sitzung 5 und 6) und Achtsames Hören (Sitzung 7). Die Teilnehmenden wurden ermutigt, die Übungen in ihren Alltag zu integrieren, was zu Beginn der jeweils folgenden Sitzung reflektiert wurde. In der aktiven Kontrollgruppe wurden ähnliche Bedingungen wie in der Interventionsgruppe geschaffen (z. B. wöchentliche 45-minütige Sitzungen über acht Wochen), jedoch mit dem Schwerpunkt auf Musik und kürzeren Reflexionsphasen. Die Sitzungen beinhalteten u. a. das Kennenlernen von unterschiedlichen Musikarten (z. B. Klassik, Rock und Pop) und Musikinstrumenten, Sportarten mit Musik, Tanzen zu unterschiedlicher Musik und Singen. Jeweils 2 Kursleitende führten die Trainings in der Interventions- und Kontrollgruppe in der Werkstatt für behinderte Menschen (Lebenshilfe e. V.) durch.
Untersuchungsinstrumente
Für diese Interventionsstudie wurden vor und nach der Intervention mit den Teilnehmenden Interviews in einfacher Sprache durchgeführt. Die Teilnehmenden wurden einzeln von einem der Autoren befragt, wobei ein weiterer Autor die Antworten dokumentierte. Die Befragung fand anhand standardisierter Instrumente statt. Bei Verständnisproblemen wurden die Fragen einfacher erklärt. Das Interview umfasste zur Erfassung von depressiven und angstbezogenen Symptomen die 4 Items des „patient health questionnaires-4“ [PHQ‑4, 14]. Die Teilnehmenden schätzten Items wie z. B. „Ich habe viel Angst“ oder „Mich interessiert fast nichts mehr.“ auf einer dreistufigen Skala (0 = Nein, 1 = Teilweise, 2 = Ja) ein. Cronbachs Alpha lag bei αt1 = 0,60 und αt2 = 0,78.
Um die Aggressivität zu erfassen wurden 10 Items des Fragebogens zur Erfassung von Aggressivität (z. B. „Zwischen anderen und mir gibt es oft Streitereien“; [FAF, 10]) verwendet. Die Antwortmöglichkeiten umfassten ja (1), nein (−1) und weiß nicht (0). Cronbachs Alpha lag bei αt1 = 0,60, αt2 = 0,69.
Die Besorgtheit wurde mit der Subskala Allgemeine Besorgtheit (13 Items, αt1 = 0,48, αt2 = 0,60) aus dem „lifestress inventory“ [LI, 2] erfasst. Es handelt sich beim LI um ein standardisiertes Instrument zur Bewertung des erlebten Stressniveaus bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung [2]. Die Erhebung erfolgte mit der Abfrage, ob bestimmte Stressoren erlebt wurden (z. B. „Unterhalten sich andere gerne mit dir“). Das jeweilige Item wurde mit dem Wert 0 kodiert, wenn der Stressor nicht vorlag. Beim Erleben eines Stressors wurde in einem zweiten Schritt, das Ausmaß des ausgelösten Stresses erfragt (1 = keinen Stress; 4 = sehr viel Stress).
Zur Erfassung der Anspannung wurde die Skala zur Erfassung von Anspannungszuständen bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung (SEAGB, 8 Items, z. B. „Haben Sie sich selber verletzt.“) [17] verwendet. Die Antwortmöglichkeiten umfassten ja (1), nein (−1) und weiß nicht (0). Die Reliabilität lag zum 1. Messzeitpunkt bei αt1 = 0,66, jedoch zum 2. Messzeitpunkt bei lediglich αt2 = 0,28.
Zur Erfassung des Wohlbefindens der Teilnehmenden während der Trainingssitzungen wurden Smiley-Karten verwendet. Zu Beginn und am Ende jeder Sitzung wurden die Teilnehmenden gebeten, ihre Stimmung durch Auswahl einer passenden Smiley-Karte (3 = fröhliches, 2 = neutrales oder 1 = trauriges Smiley) anzugeben.
Datenanalyse
Die Überprüfung der Vergleichbarkeit der Interventions- und Kontrollgruppe zum Prätest hinsichtlich der Variablen Angst und Depression, Anspannung, Aggressivität und Besorgtheit erfolgte mittels einer multivariaten Varianzanalyse (MANOVA).
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Zur Überprüfung der Wirksamkeit der achtsamkeitsbasierten Intervention im Vergleich zur aktiven Kontrollgruppe wurde eine multivariate Varianzanalyse mit Messwiederholung mittels SPSS Version 28 (SPSS Inc, Chicago, IL, USA) berechnet. Anschließend wurden univariate Varianzanalysen mit Messwiederholung durchgeführt. Beim Vorliegen signifikanter univariater Ergebnisse, wurden Simple-main-effects-Analysen durchgeführt.
Um die Abhängigkeit der Teststärke von der Stichprobengröße zu berücksichtigen, erfolgte mittels dem Programm G*Power 3.1 (Kompromiss-Poweranalyse, [9, 16]) die Berechnung der Irrtumswahrscheinlichkeit und die Festlegung des Signifikanzniveaus (multivariate Varianzanalyse mit Messwiederholung: „compromise“ −α = 0,37; univariate Analysen: „compromise“−α = 0,18).
Ergebnisse
Die Interventions- und Kontrollgruppe unterschieden sich nicht signifikant zum Prätest hinsichtlich der Variablen Angst und Depression, Aggressivität, Besorgtheit und Anspannung (F [4,16] = 0,36; p =0,83).
In der multivariaten Varianzanalyse mit Messwiederholung waren der Haupteffekt „Gruppe“ (F [4,16] = 0,65; p =0,64; η2 = 0,139) und der Interaktionseffekt Gruppe × Zeit (F [4,16] = 0,42; p =0,79; η2 = 0,095) nicht signifikant. Dagegen zeigte sich ein signifikanter Haupteffekt „Zeit“ (F [4,16] = 1,63; p< „compromise“ −α = 0,37; η2 = 0,289).
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Die univariaten Analysen ergaben einen signifikanten Haupteffekt „Zeit“ für Aggressivität, Angst- und Depressionssymptome sowie für Anspannung (Tab. 2). Die anschließenden Simple-main-effects-Analysen zeigten eine signifikante Reduzierung der Aggressivität in der Interventionsgruppe und der Kontrollgruppe von der Prä- zur Posterhebung (Interventionsgruppe: F [1,19] = 2,47; p< „compromise“−α = 0,18; η2 = 0,115; Kontrollgruppe: F [1,19] = 1,23; p< „compromise“−α = 0,18; η2 = 0,061). Darüber hinaus ergab sich eine signifikante Reduzierung der Angst- und Depressionssymptome über die Zeit in der Interventionsgruppe (F [1,19] = 1,50; p< „compromise“ −α = 0,18; η2 = 0,073), während sich in der Kontrollgruppe keine signifikante Abnahme dieser Symptome feststellen ließ (F [1,19] = 0,13; p = 0,360; η2 = 0,007). Des Weiteren zeigte sich eine signifikante Abnahme der Anspannung in der aktiven Kontrollgruppe (F [1,19] = 3,84; p< „compromise“−α = 0,18; η2 = 0,168), jedoch nicht in der Interventionsgruppe (F [1,19] = 0,12; p = 0,366; η2 = 0,006).
Tab. 2
Mittelwerte und Standardabweichungen für Interventions- und Kontrollgruppe im Prä- und Postinterview und die Befunde der univariaten Varianzanalyse (Zeiteffekt)
Interventionsgruppe
Kontrollgruppe
F
p
ηp2
Prätest
Posttest
Prätest
Posttest
M (SD)
M (SD)
M (SD)
M (SD)
Depression und Angst
4,64 (2,13)
3,29 (3,12)
3,43 (2,51)
2,86 (2,34)
1,01
0,164
0,050
Aggressivität
2,07 (1,49)
1,50 (1,65)
3,14 (2,41)
2,57 (2,15)
3,30
0,042
0,148
Besorgtheit
7,71 (6,43)
7,14 (6,83)
8,57 (5,09)
8,14 (4,63)
0,16
0,044
0,008
Anspannung
−3,50 (3,92)
−3,71 (2,70)
−2,00 (2,65)
−3,71 (2,50)
3,24
0,346
0,146
Anmerkungen. „compromise“ −α = 0,18
Die Erfassung des Wohlbefindens über Smiley-Karten zeigte bereits zu Beginn der jeweiligen Sitzung im Mittel ein hohes Wohlbefinden in der Interventions- und Kontrollgruppe. Darüber hinaus zeigte die Erhebung des Wohlbefindens zum Sitzungsende deskriptiv für die Interventionsgruppe ein gleichbleibendes Wohlbefinden während der Sitzungen. Dagegen ließ sich für die aktive Kontrollgruppe im Mittel eine positive Veränderung des Wohlbefindens feststellen. Es zeigte sich eine leichte Zunahme des Wohlbefindens während der Sitzungen (Abb. 1 und 2).
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Diskussion
Ziel dieser Studie war die Evaluation einer entwickelten Achtsamkeitsintervention für Menschen mit leichter und mittlerer intellektueller Beeinträchtigung in Bezug auf die Reduktion von Aggressivität, Depression und Angst, Besorgtheit und Anspannung sowie die Steigerung des Wohlbefindens während der Sitzungen.
Die vorliegende Studie zeigte, dass die Angst- und Depressionssymptome und die Aggressivität der Teilnehmenden der Achtsamkeitsintervention über die Zeit signifikant abnahmen. Ähnliche Befunde berichteten Harper et al. [11] in einer Review-Studie zu achtsamkeitsbasierten Interventionen bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung, die jedoch mehrheitlich im Einzelsetting stattfanden. Unsere Studie zeigte darüber hinaus, dass ein Gruppensetting zur Reduktion von Aggressivität sowie Angst- und Depressionssymptomen ebenfalls förderlich sein kann. Auch Dillon et al. [7] stellten positive Effekte einer Achtsamkeitsintervention im Gruppensetting für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung fest. Dabei nahmen die Teilnehmenden insbesondere die soziale Unterstützung durch andere Gruppenmitglieder und die sozialen Interaktionen innerhalb der Gruppe als positiv wahr [7].
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Unerwartete Befunde in der Studie waren jedoch die signifikante Reduktion der Aggressivität und der Anspannung in der aktiven Kontrollgruppe (Musikintervention). Dagegen zeigte sich keine Abnahme der Anspannung in der achtsamkeitsbasierten Interventionsgruppe. Die wenigen Studien, die die Wirksamkeit von Musikinterventionen auf Aggressivität untersuchten, wurden vorrangig mit Kindern mit intellektueller Beeinträchtigung durchgeführt [26]. Darüber hinaus liegen keine Studien vor, die die Wirksamkeit von Musikinterventionen auf die Reduktion von Anspannungszuständen oder Stress bei Erwachsenen mit intellektueller Beeinträchtigung untersuchten [25]. Unsere Befunde zeigen jedoch, dass die aktivere Gestaltung der Sitzungen und die Verwendung von Musik einen stärkeren Effekt auf die Reduktion der Anspannung hatten als die durchgeführten Achtsamkeitsübungen. Daher wären eine Integration dieser aktiven Gestaltung sowie musikalische Elemente in Achtsamkeitsinterventionen sinnvoll. Zukünftige Studien sollten die Wirksamkeit von achtsamkeitsbasierten Musikinterventionen bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung untersuchen.
Eine Zunahme des Wohlbefindens nach der Achtsamkeitsintervention, wie sich diese in der Studie von Croom et al. [4] zeigte, ließ sich in unserer Studie nicht feststellen. Allerdings war das Wohlbefinden der Interventionsgruppe bereits zum Sitzungsbeginn als hoch einzustufen.
Limitationen
Bei der Interpretation der Ergebnisse sollten folgende Limitationen berücksichtigt werden. Zum einen schränkt die geringe Stichprobengröße unserer Studie die Generalisierbarkeit der Ergebnisse ein. Zukünftige Interventionsstudien sollten die Befunde anhand einer größeren Stichprobe replizieren. Zudem wurden die Teilnehmenden aus der gleichen Werkstatt rekrutiert, die jedoch unterschiedliche Arbeitsgruppen (z. B. Druckerei, Lager, Montage) umfasste. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass eine Beeinflussung der beiden Untersuchungsgruppen untereinander stattfinden konnte. Des Weiteren wiesen insbesondere die Skala zur Erfassung von Anspannungszuständen bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung (SEAGB-Fragebogen, [17]) und die Skala Allgemeine Besorgtheit aus dem LI [2] sehr niedrige Reliabilitäten auf. Der LI [2] wurde v. a. in kanadischen, australischen und amerikanischen Populationen validiert [15], zeigte in Studien im deutschsprachigen Raum jedoch vergleichbare Schwierigkeiten [16]. Daher sollten diese Fragebögen für den deutschsprachigen Raum überarbeitet und validiert werden (z. B. Verbesserung der sprachlichen Klarheit, Erfassung von Ressourcen). Darüber hinaus liegen bislang keine validen und reliablen Fragebögen zur Erfassung des Konstrukts Achtsamkeit bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung vor, sodass dies in der vorliegenden Studie nicht erfasst werden konnte.
Fazit für die Praxis
Beide Interventionen ließen sich gut im Rahmen eines Gruppensettings und im Arbeitskontext (z. B. Werkstatt für behinderte Menschen) umsetzen.
Die Achtsamkeitsintervention führte bei Menschen mit leichter bis mittlere intellektueller Beeinträchtigung zu einer Abnahme von Aggressivität sowie der Angst- und Depressionssymptome über die Zeit. Daher sollten achtsamkeitsbasierte Interventionen im Rahmen einer multimodalen Behandlung bei psychischen Erkrankungen bei Personen mit intellektueller Beeinträchtigung einbezogen werden.
Die Musikintervention erwies sich hinsichtlich der Reduktion von Aggressivität und Anspannungszuständen als wirksam. Daher sollte eine aktivere Gestaltung der Sitzungen und die Verwendung von Musik bei Achtsamkeitsinterventionen berücksichtigt werden.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
C. Karing, V. Wolferstetter und R. Edinger geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Alle beschriebenen Untersuchungen am Menschen oder an menschlichem Gewebe wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission der Universität Jena, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patient/-innen liegt eine Einverständniserklärung und Schweigepflichtentbindungen bezüglich der Datenerhebung und anonymisierten Datenverarbeitung vor.
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