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Erschienen in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 1/2023

Open Access 16.01.2023 | Übersicht

Konsum von Missbrauchsabbildungen: Prävalenz, Ätiologie, Fallpriorisierung und Prognose

verfasst von: Prof. Robert J. B. Lehmann, Prof. Kelly Babchishin, Dr. Alexander F. Schmidt

Erschienen in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | Ausgabe 1/2023

Zusammenfassung

Der Konsum von Missbrauchsabbildungen hat sich im Hellfeld in den letzten Jahren immer wieder verdoppelt. Dieses erhöhte Fallaufkommen stellt Polizei, Bewährungshilfe und forensische Therapeuten vor eine Vielzahl neuer Herausforderungen. In diesem Beitrag sollen daher aktuelle theoretische Modelle und empirische Erkenntnisse dargestellt werden, um Praktiker in ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen. Im Einzelnen sollen das Ausmaß der Problematik und ätiologische Erklärungsmodelle dargestellt werden. Darauffolgend werden empirische Erkenntnisse zu Konsumenten von Missbrauchsabbildungen aufgeführt und diese mit Tätern, die zusätzlich auch Hands-On-Delikte begehen, verglichen. Ferner wird die Problematik von „Crossover“-Tätern diskutiert. Abschließend werden Ansätze vorgestellt, um Fälle in der polizeilichen Ermittlungsarbeit zu priorisieren sowie um das Rückfallrisiko von Konsumenten von Missbrauchsabbildungen vorherzusagen.
Das zunehmende Ausmaß des Konsums von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs (DSKM) hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass dieses Thema in Forschung und Gesellschaft in den Fokus gerät. Bis Anfang der 2000er gab es wenig Forschung und Wissen zu Kriminalprognose, Risikomanagement und Behandlung von DSKM-Nutzern. Durch die ständig steigenden Fallzahlen bei Polizei, Bewährungshilfe und forensischen Therapeuten gibt es verstärkt Bemühungen, sich mit diesem Straftatbestand evidenzbasiert auseinanderzusetzen. Dieser Überblicksartikel wird im Folgenden die wichtigsten aktuellen Erkenntnisse zu Prävalenz, Tätercharakteristika, Fallpriorisierung und Kriminalprognose vorstellen.

Begriffsdefinition

Definitorisch ist klarzustellen, dass der in der Vergangenheit (sowie auch heute noch im medialen Umgang und in gesetzlichen Vorschriften) verwendete Begriff der kinderpornografischen Inhalte problematisch ist. Einerseits ist unklar, welche Personengruppe unter den Begriff Kind fällt, da die gesetzliche Schranke für legale pornografische Darstellungen international unterschiedliche Altersgrenzen vorsieht. Je nach Gesetzgebung bezieht sich der Begriff somit auf Personen unter 18 Jahren, 16 Jahren, 14 Jahren oder auf präpubertäre Individuen. Andererseits ist der Begriff „Pornografie“ in diesem Kontext verharmlosend, da Pornografie sich gemeinhin auf Abbildungen erwachsener Personen bezieht, welche einvernehmliche sexuelle Handlungen vollziehen. Bei DSKM sind Kinder involviert, die diese Einwilligung nicht geben können, und somit ist ausschließlich die sexuelle Befriedigung Erwachsener handlungsleitend. Es handelt sich bei „Kinderpornografie“ daher um dokumentierte DSKM, welche dementsprechend auch so benannt werden sollten. International variiert die verwendete rechtliche Terminologie. Obwohl beispielsweise in Nordamerika und Deutschland rechtlich immer noch der Begriff der Kinderpornografie verwendet wird, wird in England juristisch von „indecent images of children“ gesprochen. In der Forschung werden mittlerweile zunehmend im weiteren Sinne die Begriffe „child sexual exploitation material“ und im engeren Sinne „child sexual abuse material“ eingesetzt. Im Folgenden wird hier das oben eingeführte Akronym DSKM genutzt.

Strafgesetzlicher Rahmen

Was genau unter den Straftatbestand des Konsums von DSKM fällt, hängt von der Gesetzgebung des jeweiligen Landes ab. Im Jahr 2018 hatten gemäß des International Centre for Missing & Exploited Children (2018) 118 von 196 Ländern eine ausreichende Gesetzgebung, um diesen Straftatbestand zu verfolgen. Lediglich 16 Länder haben überhaupt keine diesbezügliche Gesetzgebung (im Jahr 2016 waren es noch 35). Die Bundesrepublik Deutschland hat am 06.03.1992 das Übereinkommen über die Rechte des Kindes ratifiziert, welches die wesentlichen Standards zum Schutz der Kinder weltweit festlegt. Das Übereinkommen trat am 05.04.1992 in Deutschland in Kraft (Bundesgesetzblatt 1992, S. 121). Das zweite Fakultativprotokoll über den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und Kinderpornografie wurde in Deutschland am 15.07.2009 wirksam (Bundesgesetzblatt 2008, S. 1222). Hier verpflichten sich die Vertragsstaaten laut Artikel 1, den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie nach Maßgabe dieses Protokolls zu verbieten. Kinderpornografie wurde hier unter Artikel 2 definiert als „any representation, by whatever means, of a child engaged in real or simulated explicit sexual activities or any representation of the sexual parts of a child for primarily sexual purposes“ (Bundesgesetzblatt 2008, S. 1225). Zusätzlich hat die Bundesregierung am 28.01.2015 das Übereinkommen des Europarates vom 25.10.2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und Missbrauch (Lanzarote-Konvention) ratifiziert. Unter dem Punkt Strafverfolgung verpflichten sich die Mitgliedsstaaten u. a., DSKM strafbar zu machen. Kinderpornografie wurde hier unter Artikel 20 definiert als „any material that visually depicts a child engaged in real or simulated sexually explicit conduct or any depiction of a child’s sexual organs for primarily sexual purposes“. Durch den expliziten visuellen Bezug werden hier auditive und textbasierte Materialien ausgenommen, jedoch reelle und fiktive Abbildungen eingeschlossen.
In der seit dem 01.07.2021 verschärften Fassung des § 184b des deutschen Strafgesetzbuches werden die Verbreitung, der Erwerb und Besitz von kinderpornografischen Inhalten als Verbrechen eingestuft und mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu 10 Jahren bestraft. Als DSKM gelten hiernach Inhalte, die sexuelle Handlungen vor, an oder mit einer Person unter 14 Jahren (strafgesetzliche Definition von Kindern) zum Gegenstand haben, die Kinder ganz oder teilweise unbekleidet in aufreizend geschlechtsbetonter Haltung wiedergeben, oder die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes. Auch Herstellung, Bezug, Lieferung, Vorratshaltung, Anbieten, Bewerbung oder Ein- und Ausfuhr von DSKM sind strafbar. Damit verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, Kindern eine gewaltfreie Erziehung und insbesondere das Aufwachsen frei von sexueller Gewalt im Sinne der Lanzarote Konvention zu ermöglichen.

Prävalenz und Opfercharakteristika

Die Prävalenz des Konsums von DSKM steigt weltweit. Die Internet Watch Foundation (https://​www.​iwf.​org.​uk/​) ist eine Non-Profit-Organisation aus England, welche zum einen aktiv nach Missbrauchsabbildungen im Netz sucht und der zum anderen entsprechende Seiten auch (anonym) gemeldet werden können. Das Ziel ist, dass DSKM schnellstmöglich aus dem Internet gelöscht werden. Im Jahr 2021 wurden 361.062 dieser Meldungen bearbeitet (Internet Watch Foundation 2021). Mit 72 % stammt der größte Teil dieser Meldungen von Seiten, die in Europa gehostet wurden (inklusive Russland und Türkei). Dabei fallen 3 % auf Deutschland; weitere 17 % auf Nordamerika, 7 % auf Asien. Auf 97 % der entfernten DSKM waren Mädchen abgebildet. In 1 % der Fälle handelte es sich um Kinder im Alter von 2 Jahren oder jünger, in 6 % der Fälle um Kinder im Alter zwischen 3 und 6 Jahren, in 23 % im Alter zwischen 7 und 10 Jahren und im Großteil der Fälle (68 %) um Kinder zwischen 11 und 13 Jahren.
Das National Centre for Missing & Exploited Children (NCMEC; https://​www.​missingkids.​org/​) ist eine Non-Profit-Organisation mit dem Ziel der Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch, welche mit amerikanischen Internetanbietern und Serviceprovidern (z. B. Facebook, Microsoft, Google, DropBox) zusammenarbeitet, um entsprechendes Material zu identifizieren und zu löschen. Die Internetdienste scannen dazu sämtliche Dateien mit ihrem Hashwert (einer Art digitalen Fingerabdrucks von bekannten DSKM). Wird eine solche Abbildung erkannt, wird der Zugang gesperrt und die IP-Adresse aufgezeichnet. Die Verdachtsanzeige auf Basis der IP-Adresse wird durch NCMEC an die jeweils zuständige polizeiliche Zentralstelle des Landes weitergeleitet, in dem die Straftat stattgefunden hat. Im Jahr 2021 wurden NCMEC 29.309.106 Verdachtsfälle des Konsums von DSKM (Besitz, Herstellung und Verbreitung) gemeldet, was eine 35 %-Zunahme im Vergleich zu 2020 darstellt (National Centre for Missing & Exploited Children 2021). Gemäß des Europol Internet Organised Crime Threat Assessment (IOCTA; Europol 2020) stieg während der COVID-Pandemie das Livestreaming (Online-Liveübertragungen) von sexuellen Kindesmissbrauchshandlungen. Laut polizeilicher Kriminalstatistik haben sich die den deutschen Ermittlungsbehörden bekanntgeworden DSKM-Fälle (Hellfeld) seit 2018 von Jahr zu Jahr verdoppelt (Bundeskriminalamt 2021) und liegen für das Jahr 2021 bei nunmehr 39.171 Fällen.
Gemeinhin werden DSKM durch Online-Aktivität entdeckt. Leider stehen den Ermittlungsbehörden dafür nur limitierte Ressourcen zur Verfügung, sodass ein Großteil der Delikte im Dunkelfeld verbleibt und es bisher nur wenig Forschung hierzu gibt. Riegel (2004) befragte 290 Personen mit sexuellem Interesse an Kindern, von denen fast 95 % berichteten, „boy erotica“ im Internet anzuschauen, während gleichzeitig 79 % angaben, bisher keinen Kontakt mit Ermittlungsbehörden gehabt zu haben. In einer Stichprobe von 155 sexuellen Kindesmissbrauchstätern aus dem Dunkelfeld verneinten zwei Drittel bisherigen Kontakt mit dem Strafjustizsystem (Neutze et al. 2010). In einer Online-Umfrage unter 8718 Männern in Deutschland gaben 1,7 % an, DSKM konsumiert zu haben (Lebenszeitprävalenz seit dem Erwachsenenalter). Weitere 0,7 % gaben sowohl Konsum von DSKM und offline sexuelle Missbrauchstaten zu (Dombert et al. 2016). Bei 41,1 Mio. erwachsenen Männern in Deutschland im Jahr 2021 entspräche diese Prävalenz von 2,4 % Nutzern von DSKM im Dunkelfeld 986.400 Person, die seit ihrem 18. Lebensjahr mindestens einmal DSKM betrachtet haben, um sich sexuell zu erregen. Diesen steht eine aktuelle Entdeckungsrate von 39.171 im letzten Berichtsjahr von der Polizei als Verdachtsfall eingestuften Fällen im Hellfeld (Jahresinzidenz) gegenüber. Aktuelle Daten einer national repräsentativen Dunkelfeldstudie (Bártová et al. 2021) an der tschechischen Bevölkerung (n = 10.044) zeigen, dass 3,1 % der befragten Männer und 1,6 % der Frauen berichteten, innerhalb der letzten 6 Monate DSKM an präpubertären Kindern konsumiert zu haben (für DSKM an peripubertären Kindern1 waren dies jeweils 9,7 und 1,7 %). Unter jungen Männern ist die Nutzungsprävalenz von DSKM höher: Seto et al. (2015) fanden in einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe von 1978 schwedischen Männern im Alter von 17 bis 20 Jahren anonym selbstberichtete Konsumraten von 4,2 %. Dementsprechend wird ein Großteil der DSKM-Kriminalität im Hellfeld von Minderjährigen begangen (40,9 % der im Jahr 2021 polizeilich registrierten tatverdächtigen DSKM-Nutzer in Deutschland waren jünger als 18 Jahre2).
In einer Studie von Fortin und Proulx (2019) wurden die DSKM-Sammlungen von 59 überführten Straftätern im Hinblick auf Opferalter und Schweregrad der Handlungen untersucht. Der Schweregrad wurde mittels der Combating-Paedophile-Information-Networks-in-Europe(COPINE)-Skala klassifiziert, welche von 1 – indikative (nichtsexualisierte) Bilder bis 10 – sadistische/zoophile Handlungen reicht (Taylor et al. 2001). Bei den 40 DSKM-Tätern mit einer Mindestsammeldauer von 6 Monaten lag das Durchschnittalter der Opfer bei 9,9 Jahren und der durchschnittliche COPINE-Wert bei 5. Fast alle Missbrauchsabbildungen (90 %) enthielten Mädchen. Die Autoren konnten 4 distinkte Verläufe des Sammelns über die Zeit identifizieren. Die größte Gruppe war jene, bei welcher sie einen zunehmenden Schweregrad bezogen auf Opferalter (immer jünger) und die COPINE-Skala (höhere Werte) feststellen konnten, was für einen Eskalationsprozess der DSKM-Nutzung spricht.

Erklärungsversuche des Konsums von Missbrauchsabbildungen

Wie kann versucht werden, den Konsum von Missbrauchsabbildungen aus ätiologischer Sicht, aus Sicht der Täter sowie aus Sicht von Forschern und Behandlern zu erklären? Im Folgenden werden hierzu bestehende Erkenntnisse zusammengetragen.

Erklärungsversuche aus ätiologischer Perspektive

Gemäß des Motivation-Facilitation Model von Seto (2017) lässt sich die Begehung von Sexualstraftaten (wie z. B. DSKM-Nutzung) wie folgt erklären: Es müssen bestimmte motivationale und auslösende Faktoren vorliegen, welche unter bestimmten situativen Bedingungen die Wahrscheinlichkeit der Begehung von Sexualdelikten erhöhen. Zu diesen Motivationen gehören Paraphilien, ein ausgeprägtes sexuelles Verlangen („sex drive“) und ein aus evolutionspsychologischer Perspektive starkes Bedürfnis nach wechselnden Sexualpartnern („mating effort“). Die auslösenden Faktoren werden definiert als jene Faktoren, welche Hemmungen zur Begehung von Straftaten mittels bestimmter Eigenschaften („traits“) oder Zustände („states“) überwinden. Zu den Eigenschaften, welche interne Hemmungen zur Begehung von Sexualdelikten unterlaufen können, gehören Antisozialität, Probleme mit der Selbstkontrolle oder feindselige („toxische“) Maskulinität. Weiterhin können negative affektive Zustände oder eine akute Alkoholintoxikation interne hemmende Faktoren überwinden. Bei vorliegender Motivation und bestehenden auslösenden Faktoren steigt die Wahrscheinlichkeit der Begehung von Sexualdelikten gemäß der Routine Activity Theory (Cohen und Felson 1979), wenn Zugang zu einem vulnerablen Opfer besteht, welches nicht ausreichend beschützt wird. Empirisch unterstützt wird das Motivation-Facilitation Model (Seto 2017) durch die Ergebnisse einer großen Online-Befragungsstudie in der männlichen Allgemeinbevölkerung, in der sich zeigte, dass sowohl sexuelles Interesse an Kindern als auch erhöhtes sexuelles Verlangen und erhöhte Antisozialität mit der Nutzung von DSKM assoziiert waren (Klein et al. 2015).
Ein erst jüngst veröffentlichtes Erklärungsmodell, das sich spezifisch mit den Besonderheiten des technischen Nutzerverhaltens bei DSKM-Nutzern befasst, ist die Lawless Space Theory (Steel et al. 2022). Hierin werden die Besonderheiten des Internets als (vermeintlich) gesetzloser Raum betont, die sich begünstigend auf DSKM-Nutzung auswirken. Demnach suchen DSKM-Nutzer v. a. solche Angebote im Internet auf, die ihren psychosexuellen und kriminogenen Bedürfnissen am besten entsprechen und die mit dem geringsten Aufwand für sie zu erreichen sind3. Hierbei spielen Habituationsprozesse an das Umfeld und die gesuchten Inhalte sowie das aktive Aufsuchen gleichgesinnter Peers (differenzielle Assoziation) eine bedeutsame Rolle, um das wahrgenommene Entdeckungsrisiko und Hemmungen gegenüber DSKM-Nutzung zu reduzieren. Zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen zur Reduzierung kognitiver Dissonanz und der Verringerung des Entdeckungsrisikos werden laut dieser Theorie nur eingesetzt, solange dies die Zugänglichkeit zu DSKM nicht erschwere, was die Zögerlichkeit beim Wechsel einmal genutzter Plattformen und das Festhalten an veralteten Sicherheitsmaßnahmen aufseiten der Täter erkläre. Ein weiterer plausibler Risikofaktor ist auch die akute sexuelle Erregung, die zu sexueller Enthemmung beiträgt (Ariely und Loewenstein 2006; Imhoff und Schmidt 2014) und eine eskalierende Rolle im Onlineverhalten von DSKM-Nutzern spielen sollte.

Erklärungsversuche aus Täterperspektive

Quayle und Taylor (2002) befragten 13 DSKM-Nutzer nach ihren Erklärungen für den Konsum und kamen zu 6 Kategorien: a) sexuelle Erregung als Ersatz für sexuellen Kindesmissbrauch, b) Freude durch den Besitz einer kompletten Sammlung von Bildern, c) als Weg, um online soziale Beziehungen mit Gleichgesinnten zu pflegen, d) als Ersatz für fehlende oder unbefriedigende Beziehungen im realen Leben, e) als Therapie, um eigene Probleme zu erforschen und damit umzugehen, und f) Manifestation der süchtig machenden Eigenschaften des Internets. Hier lassen sich klare Bezüge zu den durch Bartels und Merdian (2016) identifizierten 5 impliziten Theorien von Konsumenten von DSKM herstellen: a) Kinder als Objekte für die eigene sexuelle Befriedigung zu sehen, b) der eigentliche Akt des Sammelns von DSKM, c) sich vom eigenen einsamen und traurigen Leben abzulenken und Anschluss in Online-Gemeinschaften zu suchen, d) das eigene Verhalten aufgrund von externalen Faktoren (z. B. Drogen, Alkohol, Lebensereignissen) als unkontrollierbar anzusehen und e) der Unterschätzung des angerichteten Schadens, welcher sich zum einen auf das eigene Verhalten bezieht (lediglich Konsum von DSKM, kein eigener physischer Missbrauch) und zum anderen auf den Schweregrad des Missbrauchs in den konsumierten Abbildungen. Steel et al. (2021) verglichen die Wahrnehmung von DSKM zwischen der Allgemeinbevölkerung (n = 254) und DSKM-Tätern (n = 78) und fanden empirische Belege dafür, dass DSKM-Täter minimierende kognitive Verzerrungen im Hinblick auf den Schweregrad der Taten und die Viktimisierung der Opfer zeigen.

Erklärungsversuche aus professioneller Perspektive

Beech et al. (2008) schlugen 4 Kategorien von Konsumenten vor: a) jene, welche bestehendes sexuelles Interesse an Kindern befeuern oder entwickeln, b) sexuelle Missbrauchstäter, welche auch DSKM konsumieren, c) impulsive und neugierige Konsumenten und d) jene mit nichtsexueller Motivation (z. B. Bereicherung). Seto et al. (2010) erhoben ebenfalls die Motivation für den Konsum von Missbrauchsabbildungen (Tab. 1) anhand der inhaltlichen Analyse von Vernehmungsprotokollen der Polizei und anhand der klinischen Untersuchungen einer forensischen Stichprobe.
Tab. 1
Überblick zu den von Seto et al. (2010) berichteten Gründen für den Konsum von Abbildungen sexuellen Kindesmissbrauchs
Gründe
Polizei (n = 50)
(in %)
Forensik (n = 34)
(in %)
Sexuelles Interesse an Kindern/Missbrauchsabbildungen
46
38
Wahlloses sexuelles Interesse
6
3
Pornografiesucht
10
29
Neugier
40
27
Zufälliger Zugriff auf Missbrauchsabbildungen
40
32
Brown (2022) führte 18 qualitative Interviews mit Kolleginnen durch, welche kriminalprognostische Fremdbeurteilungsverfahren in ihrer Arbeit mit DSKM-Nutzern verwenden. Dabei fragte sie auch nach den Umständen, welche aus professioneller Sicht zum Konsum von DSKM führten. Es wurden 4 Muster beschrieben: a) kritische Lebensereignisse („Trigger“) wie Unfall, Trennung vom Partner, Arbeitsplatzverlust, b) DSKM-Sucht (vermehrter DSKM-Konsum, Änderung des genutzten Materials), c) eigener erlebter sexueller Missbrauch (Konsum, um eigenen sexuellen Missbrauch zu verarbeiten) und d) Sammeln von DSKM (in Verbindung mit Autismus-Spektrum-Störungen).

Tätereigenschaften

Insgesamt zeigt die Forschung, dass DSKM-Täter weit überwiegend männlich, überdurchschnittlich häufig kaukasischer Abstammung sowie gebildeter und psychosozial besser angepasst sind als sexuelle Kindesmissbraucher, die Kontaktdelikte begehen (Franke und Graf 2016). Hierbei gilt es zu beachten, dass sich aktuelle Stichproben von denen der Studien in den 2000er-Jahren unterscheiden, da sich der Zugang zum Internet erheblich erleichtert hat (Christensen und Tsagaris 2020). In ihrer Metaanalyse verglichen Babchishin et al. (2015) Konsumenten von DSKM mit ausschließlichen sexuellen Missbrauchstätern und Tätern, welche sowohl DSKM konsumiert als auch sexuelle Missbrauchsdelikte begangen haben (gemischte Täter) hinsichtlich motivationaler und auslösender Faktoren. Die Ergebnisse zeigen (im Einklang mit den oben beschriebenen Modellen und Theorien), dass DSKM-Nutzer, verglichen mit Kontaktstraftätern, häufiger sexuelles Interesse an Kindern aufweisen (Motivation), weniger Zugang zu Kindern haben und sich mehr mit dem (nichtreglementierten) Internet beschäftigen. Ebenso fanden sich weiterhin Hinweise, dass DSKM-Nutzer weniger auslösende Faktoren wie Antisozialität (weniger Vordelikte, weniger Feindseligkeit) oder Drogenmissbrauch aufweisen als Kontakttäter. Im Vergleich zu DSKM-Nutzern weisen gemischte Täter mehr abweichende sexuelle Interessen auf, sind weniger zur sexuellen Selbstregulation fähig und zeigen antisozialere Erlebens- und Verhaltensweisen.
Obwohl DSKM-Täter über längere Beobachtungszeiträume hinweg heterogene Verläufe ihrer Delinquenz aufwiesen, zeigte sich in einer kürzlich veröffentlichten Studie, dass DSKM-Delikte selten die ersten Delikte waren, mit denen DSKM-Nutzer polizeilich auffällig wurden, was den möglichst frühen Einsatz kriminalpräventiver Interventionen nahelegt, um (auch) späterer DSKM-Nutzung vorzubeugen (Babchishin et al. 2022). Insgesamt kann festgehalten werden, dass DSKM-Nutzung einen validen Indikator zum einen für sexuelles Interesse an Kindern und andere atypische sexuelle Interessen und zum anderen für generelle Probleme mit der sexuellen Funktionsfähigkeit darstellt. Weiterhin muss die Bedeutung von Gelegenheitsstrukturen hervorgehoben werden (weniger Zugang zu Kindern, stärkerer Gebrauch des Internets).

Priorisierung von Fällen

Die rapide Zunahme und Verfügbarkeit von DSKM erfordert valide und praktikable Risikoeinschätzung durch die Polizei. Durch die schwerwiegenden aktuellen Fälle von Lügde, Bergisch Gladbach, Münster und Wermelskirchen wird deutlich, wie sehr die Arbeitsbelastung der Ermittlungsbehörden stetig anwächst. Allein im Fall Bergisch Gladbach gab es 30.000 Verdächtige. Hier stehen die Ermittler vor der anspruchsvollen Aufgabe, ihre beschränkten Ressourcen so einzusetzen, dass Opfer schnellstmöglich befreit und weitere Opfer verhindert werden können. Im Idealfall erfolgt die Priorisierung von Fällen in der Ermittlungsarbeit evidenzbasiert. Hier kann auf die soeben vorgestellte empirische Literatur zurückgegriffen werden, d. h., dass Indikatoren für abweichende sexuelle Interessen, geringe sexuelle Selbstregulation, Antisozialität oder Zugang zu potenziellen Opfern wichtige Hinweise liefern können. Das Kent Internet Risk Assessment Tool (KIRAT; Long et al. 2016) ist ein Beispiel für ein solches Priorisierungsinstrument. Das Ziel dieser Zusammenarbeit von der Kent Police (UK) und der University of Liverpool lag in der evidenzbasierten Unterstützung der Polizei bei Risikomanagement, Priorisierung von Fällen und Management der Fallbelastung der Ermittler in Fällen von DSKM-Ermittlungen. Im KIRAT wurde das Wissen integriert, welche DSKM-Täter das höchste Risiko aufweisen, Hands-on-Straftaten zu begehen, weil sie die meisten Merkmale mit gemischten Straftätern teilen. Dafür wurden ein Kodierungsmanual mit 166 Variablen zu soziodemografischen Daten, krimineller Vorgeschichte und zum Indexdelikt entwickelt und n = 374 abgeurteilte Fälle männlicher DSKM-Täter anhand des Manuals bewertet. Die Stichprobe bestand dabei aus Tätern mit höheren (gemischte Tätertypus) und geringerem (ausschließlich DSKM-Täter) Risiko. Das KIRAT liegt mittlerweile in einer zweiten Version vor (KIRAT-2) und wurde in weiteren europäischen Ländern untersucht (Dänemark, Estland, Niederlande, Norwegen, Rumänien, Slowenien, Spanien). Es besteht aus 17 Variablen, welche 9 Items zugeordnet werden. Die Bewertung erfolgt anhand eines Entscheidungsbaums in 4 Schritten: (1) kriminelle Vorgeschichte, (2) Zugang zu Kindern, (3) Tatverhalten beim Indexdelikt und (4) weitere Faktoren (Tab. 2). Jeder Schritt produziert eine 4‑stufige Risikoeinschätzung (gering bis sehr hoch). Der erste Schritt legt das Ausgangsrisiko fest, das in den weiteren Schritten beibehalten oder erhöht wird. In der Entwicklungsstichprobe zeigte das KIRAT eine sehr gute prognostische Validität (AUC = 0,89), wobei ein optimaler „cut off“ zwischen den mittleren und hohen Kategorien lag.
Tab. 2
Kent Internet Risk Assessment Tool – Version 2
Schritt
Item
Bewertung
1
1. Verurteilung sexueller Missbrauch
Sehr hoch, hoch, mittel, gering
2. Vorwurf sexueller Missbrauch
3. ≥ 4 bedeutsame Verurteilungen
4. Gefängnisstrafe
5. Verurteilung/Vorwurf anderer Delikte
2
6. Enger Kontakt ohne Beaufsichtigung
Risiko erhöhen
7. Zugang über Freunde, Nachbarn, Bekannte
3
8. Anstiftung oder Grooming oder Herstellung oder sexuelle Kommunikation online/offline
Risiko erhöhen
4
9. Jede Verurteilung oder häusliche Gewalt oder Drogenmissbrauch
Risiko erhöhen
Obwohl die Forschung gemeinhin zeigt, dass DSKM-Nutzung nicht als Vorstufe von sexuellen Hands-on-Kindesmissbrauchsdelikten gesehen werden kann (Babchishin et al. 2022), gibt es eine relevante Minderheit von DSKM-Nutzern, die zu Hands-on-Delikten an Kindern übergehen (Crossover-Täter). Ausgehend von der Validität von antisozialen Dispositionen für die Vorhersage von Sexualdelinquenz (Seto 2018) erscheint es wenig überraschend, dass die Hauptrisikofaktoren zur Vorhersage des Übergangs von Online-hands-off-Delikten zu physischem sexuellen Offline-Kindesmissbrauch Indikatoren von genereller Antisozialität (z. B. vorherige Gewaltdelinquenz, Jugenddelinquenz, kriminelle Vorgeschichte; Eke et al. 2011; Seto und Eke 2005; Smid et al. 2015), von sexueller Devianz (atypische sexuelle Interessen, Überwiegen von DSKM, die männliche statt ausschließlich weiblicher Opfer beinhalten; Eke und Seto 2012; Seto und Eke 2015), Zugang zu kindlichen Opfern und zum Internet (Babchishin et al. 2015) sind. Individuen, die das höchste Risiko für einen solchen Crossover zeigen, sollten erwartungsgemäß ein hohes Ausmaß pädophiler Interessen, gedanklicher Beschäftigung mit Sexualität („sexual preoccupation“) und antisozialer Dispositionen aufweisen. Sie sollten Zugang zu Kindern und wenig psychologische Hemmungen haben, ihre sexuellen Interessen an Kindern auszuleben (z. B. ausgeprägte prokriminelle Einstellungen gegenüber sexueller Viktimisierung von Kindern). Entsprechende Personen suchen wahrscheinlich Opfer, die ihrer Geschlechterpräferenz in der DSKM-Nutzung entsprechen. So zeigte sich in einer aktuellen Follow-up-Studie, dass alle Männer, die männliche Opfer in Kontaktdelikten aufwiesen, diese Präferenz auch in ihrer vorherigen DSKM-Nutzung zeigten und alle Männer mit weiblichen Hands-on-Opfern diese ebenfalls im Internet bevorzugt hatten (Eke und Seto 2022). Demgegenüber sollten ausschließliche DSKM-Nutzer, die gering ausgeprägte Antisozialität, nur begrenzten Zugang zu Kindern und Hemmungen haben, Kontaktdelikte zu begehen, nur ein geringes Risiko aufweisen, Hands-on-Delikte an Kindern zu begehen.
Interessanterweise deutet die Forschung zur Priorisierung von DSKM-Fällen (Long et al. 2016, 2012; McManus et al. 2015; Smid et al. 2015) auf relevante motivationale und auslösende Faktoren hin, welche in der bisherigen kriminalprognostischen Forschung bei Sexualdelikten noch nicht im Fokus stehen, wie z. B. die Produktion von DSKM, Online-Grooming (Schmidt im Druck) und Substanzmissbrauch. Dabei muss jedoch betont werden, dass die Vorhersagen, ob ein Konsument von Missbrauchsabbildungen ein gemischter Täter ist, oder ob ein verurteilter Konsument von Missbrauchsabbildungen in Zukunft erneut (Hands-on- oder Hands-off‑)Sexualdelikte begehen wird, nicht dieselben kriminalprognostischen Fragestellungen sind.

Kriminalprognose

Bei der Kriminalprognose von Konsumenten von Missbrauchsabbildungen steht man vor der Herausforderung, dass empirische Untersuchungen zeigen (Babchishin et al. 2018; Eke et al. 2011; Elliott et al. 2019), dass das Risiko für einen Rückfall mit einem sexuellen Missbrauchsdelikt bei Konsumenten von Missbrauchsabbildungen sehr gering ist. Beispielsweise zeigten Elliott et al. (2019) anhand einer englischen Stichprobe von n = 584 ausschließlichen DSKM-Tätern und n = 106 gemischten Tätern innerhalb von durchschnittlich 13 Jahren eine sexuelle Rückfallquote von 12,6 %, wobei gemischte Täter ein 3fach so hohes Rückfallrisiko wie ausschließliche DSKM-Täter aufwiesen. Nur 2,7 % der DSKM-Täter wurden innerhalb des Nachbeobachtungszeitraums mit einer Kontaktstraftat auffällig. Bei einer so geringen Basisrate ist es empirisch extrem schwierig, die tatsächlich rückfälligen Täter valide zu identifizieren. Dementsprechend haben auch viele zu beurteilende DSKM-Nutzer bisher keine sexuellen Missbrauchsdelikte oder überhaupt Straftaten in ihrer kriminellen Vorgeschichte begangen, wobei viele der bestehenden kriminalprognostischen Fremdbeurteilungsverfahren Items zur kriminellen Vorgeschichte beinhalten.
Insgesamt wurden viele der kriminalprognostischen Instrumente für Sexualstraftäter entwickelt, bevor der Konsum von Missbrauchsabbildungen in den letzten Jahren stetig zunahm, sodass diese in den Entwicklungsstichproben unterrepräsentiert sind. So darf z. B. der Static-99/R (Harris et al. 2003), eines der wichtigsten Prognoseverfahren bei Sexualstraftätern, nicht angewendet werden, wenn der Proband bisher nur für den Konsum von Missbrauchsabbildungen verurteilt wurde. Somit steht man vor der Frage, ob 1) bestehende Verfahren überhaupt für diese Straftätergruppe angewendet werden können, oder ob 2) neue Verfahren entwickelt werden müssen.

Anwendung bestehender kriminalprognostischer Fremdbeurteilungsverfahren

Verschiedene Studien untersuchten die Anwendbarkeit von Verfahren der zweiten Generation der Kriminalprognose auf Fälle des Konsums von Missbrauchsabbildungen, wie die Anwendbarkeit der Offender Group Reconviction Scale (Wakeling et al. 2011), der Risk Matrix-2000 (RM2000; Barnett et al. 2010; Elliott et al. 2019; Howard und Wakeling 2021; Osborn et al. 2010; Wakeling et al. 2011; Webb et al. 2007) oder des Static-99 (Osborn et al. 2010). Beispielsweise untersuchten Wakeling et al. (2011) die prädiktive Validität einer modifizierten Version der RM2000 in einer Stichprobe von ausschließlichen DSKM-Konsumenten (n = 690) und gemischten Straftätern (n = 304). Die RM2000 ist ein Verfahren der 2. Generation kriminalprognostischer Fremdbeurteilungsverfahren und besteht aus 3 Skalen, wobei die RM2000/S für die Vorhersage von Rückfall mit einem Sexualdelikt herangezogen werden kann. Die Rückfallrate mit einem Sexualdelikt innerhalb von 2 Jahren lag in der Gesamtstichprobe bei 3,1 %. Die prädiktive Validität der RM2000/S lag in der Gesamtstichprobe im moderaten Bereich (AUC = 0,67). Dieser Effekt verschwand jedoch bei Ausschluss der gemischten Straftäter (AUC = 0,50). Damit bleibt unklar, welche der bestehenden kriminalprognostischen Skalen zur Beurteilung von Sexualstraftätern bei DSKM-Konsumenten (ohne sexuelle Kontaktdelikte in der Vorgeschichte) herangezogen werden können. Auch die Anwendbarkeit von Verfahren der 3. Generation der Kriminalprognose wie dem Level of Service Inventory – Revised (Pilon 2016), des Post-Conviction Risk Assessment (Cohen 2018; Cohen und Spidell 2016) oder dem Stable-2007 (Webb et al. 2007) wurde bei diese Straftätergruppe untersucht. In einer Metaanalyse prüften Brankley et al. (2019) u. a. die prädiktive Validität des STABLE-2007 und schlossen dabei Stichproben von DSKM-Nutzern ein (n = 72, davon 68 ausschließliche DSKM-Täter). Hier lag die prognostische Validität im sehr guten Bereich (AUC = 0,94, KI95% = [0,85; 1,0]). Diese Ergebnisse deuten den Nutzen des STABLE-2007 bei Konsumenten von Missbrauchsabbildungen an, einem Verfahren der 3. Generation der Kriminalprognose, welches explizit für Sexualstraftäter entwickelt wurde und keine Items zur kriminellen Vorgeschichte beinhaltet.

Entwicklung spezifischer kriminalprognostischer Fremdbeurteilungsverfahren

Sowohl empirische Ergebnisse (Babchishin et al. 2015) als auch theoretische Überlegungen (Seto 2017) zeigen, dass motivationale (z. B. Paraphilie) und auslösende Faktoren (z. B. Antisozialität) die Wahrscheinlichkeit für den Konsum von Missbrauchsabbildungen erhöhen. Basierend auf diesen Überlegungen entwickelten Seto und Eke (2015) das Child Pornography Offender Risk Tool (CPORT) sowie die Skala Correlates of Admission of Sexual Interest in Children (CASIC; Seto und Eke 2017)4. Basierend auf der Analyse von Polizeiakten einer Stichprobe von n = 266 Männern, welche wegen Besitzes, Verbreitung oder Produktion von Missbrauchsabbildungen in Kanada verurteilt wurden, wurde eine Skala mit 7 Items zur Erfassung des Rückfallrisikos von Sexualstraftätern mit mindestens einem DSKM-Delikt entwickelt. Die Skala enthält 4 Indikatoren von Antisozialität, darunter ein soziodemografisches Item (Alter des Täters zum Zeitpunkt der Indexermittlung: 35 oder jünger) sowie 3 Items zur kriminellen Vorgeschichte (kriminelle Vergangenheit: jegliche Strafanzeigen; Versagen unter Bewährung, Strafaussetzung oder bedingte Haftentlassung; jegliche Hands-On-Sexualstraftat). Zusätzlich erfasst der CPORT 3 Indikatoren sexueller Devianz, darunter ein Item zum sexuellen Interesse an Kindern (Hinweis auf pädophile oder hebephile Interessen) sowie 2 Items zum Inhalt der konsumierten DSKM (inhaltliche Dominanz von Jungen in der Kinderpornografie [≥ 51 %]; inhaltliche Dominanz von Jungen in Nacktbildern/anderen Darstellungen [≥ 51 %]). Bei Vorliegen werden die Items mit einem Risikopunkt bewertet, sodass der Wertebereich der Skala zwischen 0 und 7 Punkten liegt.
Für den Fall, dass das Item zu pädophilen oder hebephilen Interessen aufgrund eines fehlenden Eingeständnisses oder fehlender Diagnose nicht eingeschätzt werden kann, kann es durch die Beurteilung der CASIC-Skala ersetzt werden. Die CASIC-Skala erfasst 6 Indikatoren des sexuellen Interesses an Kindern: 1) nie verheiratet, 2) besaß Videos mit DSKM, 3) besaß Geschichten zu sexuellem Missbrauch von Kindern, 4) Interesse an DSKM seit mindestens 2 Jahren, 5) Ehrenamt mit engem Kontakt zu Kindern, 6) Online-Kommunikation sexueller Natur mit einem Minderjährigen. Bei Personen mit einem Wert von 3 oder mehr auf der CASIC-Skala kann das Item zu pädophilen oder hebephilen Interesse mit „Ja“ bewertet werden.
Laut Autoren (Eke und Seto 2016) ist der CPORT v. a. geeignet, um Probanden in eine Rangreihe gemäß des Rückfallrisikos zu bringen (Diskrimination; gering, mittel, hoch); und weniger, um das absolute Rückfallrisiko (Kalibrierung) vorherzusagen. In der Entwicklungsstichprobe (Seto und Eke 2015) war der CPORT ein signifikanter Prädiktor für Rückfälle jeder Art, Rückfalle mit einem Sexualdelikt und für Rückfalle mit einem sexuellen Kindesmissbrauchsdelikt. Der CPORT sagte jedoch nicht Rückfalle mit einem Sexualdelikt in der Gruppe der DSKM-Konsumenten vorher, was an der geringen Rückfallrate in dieser Gruppe gelegen haben kann. In einer aktuellen Studie aus Spanien (Soldino et al. 2021) wurde die prädiktive Validität das CPORT an einer Stichprobe von n = 304 Personen untersucht, welche wegen des Konsums von Missbrauchsabbildungen festgenommen wurden. Innerhalb des Nachbeobachtungszeitraums von 5 Jahren lag die Rückfallrate für sexuellen Missbrauch bei 0,3 %, sodass eine valide Rückfallvorhersage nicht möglich war. Mittels CPORT konnte auch hier der einschlägige DSKM-Konsum nicht vorhergesagt werden. In einer weiteren schottischen Validierungsstudie des CPORT (Savoie et al. 2022) mit n = 141 DSKM-Tätern konnten allgemeine Rückfalle (AUC = 0,81), jegliche Rückfalle mit einem Sexualdelikt (AUC = 0,78) und DSKM-Rückfalle (AUC = 0,74) signifikant vorhergesagt werden.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass bestehende Fremdbeurteilungsverfahren für gemischte Straftäter angewendet werden können. Dies gilt primär für die Aufgabe, Straftäter im Sinne ihrer Gefährlichkeit in eine Rangreihe zu bringen (Diskrimination). Für die Bestimmung absoluter Rückfallraten (Kalibrierung) sind weitere empirische Studien nötig. Für die Vorhersage des Rückfallrisikos von ausschließlichen DSKM-Tätern scheinen dynamische Verfahren der 3. Generation der Kriminalprognose (z. B. STABLE-2007) am vielversprechendsten. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass sich die absoluten Rückfallraten von Konsumenten von Missbrauchsabbildungen (ca. 2 %) von denen anderer sexuellen Missbrauchstäter (ca. 10 %) unterscheiden und aufgrund des zunehmend geringen Rückfallniveaus im Hellfeld Kriminalprognosen mit einem hohen Risiko falsch-positiver Ergebnisse zu erwarten sind.
Das Ziel der vorgestellten Verfahren zur Priorisierung und Kriminalprognose liegt darin, bestehende Ressourcen möglichst effektiv zu steuern. Im Einklang mit dem Risikoprinzip (Bonta und Andrews 2017) ist es notwendig Ermittlungsbehörden als auch Behandlern dabei zu helfen, Fälle mit dem höchsten Risiko zu identifizieren. Hierbei wurde in diesem Beitrag die Bedeutung der Unterscheidung von DSKM-Tätern und gemischten Tätern sowie der ausführlichen Beurteilung der kriminellen Vorgeschichte (sofern vorhanden und bekannt) deutlich. Kriminalprognostische Verfahren, welche nicht primär auf der Analyse der kriminellen Vorgeschichte beruhen, gelingt es dabei etwas besser, DSKM-Täter in eine Rangreihe hinsichtlich des Rückfallrisikos zu bringen. Gemäß dem Risikoprinzip sollte die Intensität der Behandlung an das Rückfallrisiko angepasst sein. Mews et al. (2017) konnten zeigen, dass DSKM-Täter mit gleicher Behandlungsintensität wie Sexualstraftäter ein höheres Rückfallrisiko hatten als nach Rückfallrisiko gematchte DSKM-Täter, welche die Behandlung abgebrochen hatten. Somit bleibt festzuhalten, dass viele DSKM-Nutzer ein vergleichsweise geringes Rückfallrisiko haben und z. B. intensive therapeutische Maßnahmen kontraindiziert sind.

Interessenkonflikt

R.J.B. Lehmann, K. Babchishin und A.F. Schmidt geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Fußnoten
1
Im tschechischen Strafgesetz sind alle pornografischen Darstellungen, die noch 18-jährige Personen beinhalten, DSKM.
 
2
Wobei hierunter auch eine unbekannte Anzahl „atypischer“ Fälle zu zählen ist, in denen sich Minderjährige Nachrichten mit sexuellen Inhalten senden (sog. Sexting), was den Straftatbestand des Besitzes und der Verbreitung von DSKM erfüllen kann, obwohl es sich hier um normative sexuelle Interaktionen unter Peers handelt (Lewis 2018).
 
3
So ist beispielsweise davon auszugehen, dass es beim Konsum von DSKM einfacher ist, Hinweise auf fehlende Konsensualität und Leiden aufseiten der Opfer auszublenden, als wenn man situativ aktiv selbst an physischem sexuellem Missbrauch von Kindern beteiligt ist, da es beim DSKM-Konsum vom Täter abhängt, welches Material er konsumieren möchte. Von den meisten von Riegel (2004) befragten DSKM-Konsumenten sind Hinweise auf die sexuelle Erregung ihrer Opfer als sexuell attraktiv berichtet worden, wohingegen der erkennbar missbräuchliche Charakter und die Beteiligung von anderen Erwachsenen als unattraktiv oder verstörend erlebt wurden.
 
4
Unter https://​www.​researchgate.​net/​project/​Child-Pornography-Offender-Risk-Tool-CPORT/​update/​5fff3d127e98b400​01bb7c10 können die offiziellen deutschen Versionen der Manuale für die Anwendung von CPORT und CASIC heruntergeladen werden.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Konsum von Missbrauchsabbildungen: Prävalenz, Ätiologie, Fallpriorisierung und Prognose
verfasst von
Prof. Robert J. B. Lehmann
Prof. Kelly Babchishin
Dr. Alexander F. Schmidt
Publikationsdatum
16.01.2023
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie / Ausgabe 1/2023
Print ISSN: 1862-7072
Elektronische ISSN: 1862-7080
DOI
https://doi.org/10.1007/s11757-022-00752-6

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