Hintergrund
Die Arbeitsbelastung der Ärzt:innen ist in den vergangenen Jahren aufgrund der erhöhten Prävalenz chronischer Erkrankungen, der zunehmenden Bevölkerungsalterung, und einem damit verbundenen erhöhten Pflegebedarf, sowie wirtschaftlichen Herausforderungen und Personalmangel enorm gestiegen [
53,
67]. Die Situation hat sich während der COVID-19-Pandemie noch einmal verschärft und einen Diskurs zum (politischen) Handlungsbedarf in Gang gesetzt [
39].
Die Arbeitszeit von Ärzt:innen beinhaltet zusätzlich zur normalen täglichen Arbeitszeit häufig auch Bereitschaftsdienste, Nacht- und Schichtdienste sowie (regelmäßige) Überstunden [
62]. Eine wichtige gesellschaftliche und gesundheitspolitische Frage ist, welchen Einfluss arbeitszeitbedingte Belastungen und verlängerte Dienstzeiten auf Gesundheit, Wohlbefinden und Zufriedenheit des ärztlichen Personals und – damit verbunden – auch auf das Versorgungssystem in seiner Gesamtheit haben.
Ziel der hier vorliegenden Kurzübersicht ist daher eine Bestandsaufnahme zu ärztlicher Arbeitszeit. Es folgt zunächst eine Übersicht zu rechtlichen Vorgaben und durchschnittlichen Arbeitszeiten, im Weiteren werden Konsequenzen hinsichtlich Arbeitsbelastung, Ärztegesundheit und Gesundheitsversorgung beschrieben.
Diskussion und Perspektiven
Die vorliegende Kurzübersicht zur Arbeitszeit bei Ärzt:innen zeigt, dass die Untersuchung der Thematik für die Sicherung der Patientenversorgung unumgänglich ist. Studienergebnisse weisen darauf hin, dass die Thematik einem stetigen Wandel des Arztberufes, den Bedürfnissen und Wünschen dieser Berufsgruppe als auch den Veränderungen im Gesundheitswesen und der Gesellschaft unterliegt. Arbeitszeit kann sich demnach nicht nur auf die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Ärzteschaft auswirken, sondern auch auf die Patientensicherheit.
Dabei soll der Wunsch nach Teilzeitarbeit oder Arbeitszeitreduktion nicht unbedingt als ursächlich für den voranschreitenden Ärzt:innenmangel gesehen werden, sondern vielmehr als Möglichkeit für Veränderung. Attraktive Arbeitszeiten können in Zeiten von Ärzt:innenmangel auch ein Mittel sein, um Fachkräfte anzuziehen.
Eine Steigerung der Attraktivität dieser Profession durch moderne und attraktive Arbeitszeiten ist ein wichtiger Schritt, um Abwanderung in Berufe außerhalb der Patientenversorgung sowie vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand zu verhindern.
Trotz allem weisen derzeitige Studien darauf hin, dass es gerade in diesem Forschungsbereich eine Vielzahl von Lücken gibt, die geschlossen werden müssen. Es stellt sich beispielsweise die Frage, inwiefern die mit innovativen Arbeitszeitmodellen verbundenen Kosten niedriger ausfallen, als Kosten durch (arbeitszeitbedingte) Überlastung und Burnout. Gleichzeitig sollte die Etablierung innovativer Arbeitszeitmodelle in allen medizinischen Settings kritisch und umfangreich geprüft werden. Beispiele für Arbeitszeitmodelle können eine Reduktion der Arbeitszeit/Teilzeitarbeit oder Reduktion der Arbeitstage (z. B. 4‑Tage-Woche) sowie Wechselmodelle (Arbeitswochen gefolgt von arbeitsfreien Wochen) beinhalten. Hier stellt sich einerseits die Frage, inwiefern es durch diese Modelle zu Veränderungen bzw. Verbesserungen kommt, und andererseits, was dies für die Patientenversorgung langfristig bedeuten kann. Erste Ergebnisse einer Befragung mit 261 Klinikärzt:innen zeigen, dass neue, innovative Arbeitszeitmodelle die Arbeitsbelastung verringern und die Arbeitszufriedenheit der Ärzt:innen verbessern, sich die Möglichkeiten der Patientenversorgung allerdings nicht signifikant verändern [
22].
Folgende Möglichkeiten wurden von Chang und Kollegen [
12] vorgeschlagen, um dem Personalmangel entgegenzuwirken, Arbeitszeiten zu regulieren, Überstunden zu vermeiden und langfristig ärztliches Personal zu entlasten:
1.
Miteinbezug von Medizinstudent:innen (d. h. frühzeitige Arbeit am Patienten),
2.
Rekrutierung ausländischer Ärzt:innen,
3.
Erhöhung der Anzahl der Mitarbeiter:innen, die einige der klinischen Aufgaben eines Arztes/einer Ärztin übernehmen können, z. B. speziell ausgebildete Arzthelfer:innen oder Physician Assistants (Bachelor-Studium),
4.
Reduzierung der nichtklinischen Aufgaben der Ärzt:innen sowie Entbürokratisierung in Krankenhäusern und ambulanten Einrichtungen [
12].
Eigene Arbeiten zu Arbeitszeit bei Ärztinnen und Ärzten weisen darauf hin, dass insbesondere Arbeitszeitdimensionen und Arbeitszeitflexibilität einen Einfluss auf Arbeitszufriedenheit, allgemeine Gesundheit und Burnout-Risiko haben und damit eine wichtige Stellschraube für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen darstellen können [
28,
29]. So konnte gezeigt werden, dass eine erhöhte Autonomie hinsichtlich der Arbeitszeit (z. B. hinsichtlich Arbeitsbeginn und Arbeitsende sowie Möglichkeit der Rücksichtnahme auf private Interessen innerhalb der Arbeitszeitplanung) mit weniger Arbeitsbelastung und Burnout einhergeht und die Arbeitszufriedenheit gesteigert werden kann. Zukünftige Studien sollten diese Zusammenhänge längsschnittlich untersuchen und gleichzeitig Möglichkeiten entwickeln, wie Selbstbestimmung hinsichtlich der Arbeitszeit im ärztlichen Arbeitsalltag gefördert werden kann, wie sich innovative Arbeitsmodelle umsetzen und etablieren lassen und welche Auswirkungen sich auf Gesundheit und Befinden als auch Einstellung zum Beruf und Entscheidungen hinsichtlich des Ruhestandes ergeben. Dies ist vor allem für Ärztinnen von Bedeutung, die Familie und Arztberuf miteinander vereinbaren wollen oder denen es aufgrund unflexibler Arbeitszeitmodelle verwehrt bleibt, einen Karriereweg innerhalb der Klinik einzuschlagen [
11,
33]. In diesem Zusammenhang sollte auch die Möglichkeit einer (ambulanten) Weiterbildung in Teilzeit untersucht werden. Bisherige Studien weisen darauf hin, dass viele Ärzt:innen den Weg in eine ambulante Tätigkeit gehen, weil ihnen hier das Arbeiten in Teilzeit in Aussicht gestellt wird. Es stellt sich die Frage, inwiefern dies auch während der Facharztausbildung eine Rolle spielt und wie Ärzt:innen diese Möglichkeit wahrnehmen bzw. nutzen.
Im Rahmen der Thematik handelt es sich um einen Spagat zwischen den individuellen Bedürfnissen der Ärzteschaft (z. B. Familienplanung, Weiterbildung, Arbeit außerhalb der Patientenversorgung) und den Anforderungen des Gesundheitssystems. Gerade in einer älterwerdenden Bevölkerung, die von einer Zunahme chronischer Erkrankungen betroffen ist, ist es schwer, den Wunsch nach reduzierter Arbeitszeit zu realisieren. Zunehmende Arbeitsverdichtung in Krankenhäusern oder der bürokratische Aufwand in ambulanten Bereichen sind nur zwei Beispiele, die von Ärzt:innen häufig als Ursache für (vermeidbare) Arbeitsbelastung genannt werden [
21,
51]. Wenn Ärzt:innen am Rande der Erschöpfung arbeiten oder gar von Präsentismus die Rede ist, kann jedoch keine optimale Gesundheitsversorgung garantiert werden. Gerade neuere Studien weisen darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen Arbeitszeitreduktion und hoher Arbeitsbelastung gibt [
26]. Wichtig ist es daher, gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt.
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