Das Thema „Lebensqualität“ ist bereits seit geraumer Zeit Forschungsgegenstand diverser wissenschaftlicher Unternehmungen und fand im Verlauf der letzten Jahrzehnte vermehrt Eingang in die medizinische sowie forensisch-psychiatrische Forschung (Markiewicz und Wiecek
2017). Trotz dessen besteht in der Literatur keine einheitliche Definition, wobei meist eine Übereinkunft darüber besteht, dass es sich bei Lebensqualität um ein subjektives Konstrukt handelt, welches multidimensional ist und hierin positive wie negative Dimensionen beinhaltet (WHOQOL Group
1995; van Nieuwenhuizen et al.
2002). Aus dieser inhaltlichen Übereinkunft definierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass Lebensqualität auf komplexe Art und Weise die körperliche und psychische Gesundheit, das Maß an Unabhängigkeit, die sozialen Beziehungen, persönlichen Überzeugungen und die Umwelt einer Person integriert (WHOQOL Group
1995). Es ist ersichtlich, dass sich bei einer Unterbringung, wie beispielsweise im Justiz- oder im Maßregelvollzug, Einschränkungen in der Lebensqualität ergeben. Um diesen spezifischen Bedingungen von Vollzugseinrichtungen Rechnung zu tragen, sollten Messinstrumente von Lebensqualität den Gegebenheiten der Einrichtungen angepasst werden (van Nieuwenhuizen et al.
2002). Um dies umzusetzen, entwickelte die Forschergruppe um Alison Liebling den Fragebogen
Measuring the Quality of Prison Life (MQPL; Liebling et al.
2011). Dieser erfasst die Lebensqualität der Gefangenen anhand deren Zufriedenheit mit für den Gefängnisalltag relevanten Domänen wie Respekt, Menschlichkeit, Beziehungen zu Angestellten, Fairness, Vertrauen, Kontakt zu Angehörigen oder Sicherheit (Liebling et al.
2011). Studien konnten die Relevanz von Lebensqualität bzw. einzelnen Domänen unterstreichen: Beijersbergen et al. (
2015) konnten in einer niederländischen Gefängnisstichprobe (
n = 1241) feststellen, dass ein respektvoller Umgang und das Gefühl, fair und gerecht behandelt zu werden, mit einem signifikant niedrigeren delinquenten Rückfallrisiko innerhalb der nächsten 18 Monate einhergingen. Auch konnte ein negativer Zusammenhang zwischen Lebensqualität und Suizidalität bei englischen (Liebling et al.
2005) und US-amerikanischen (Dye
2010) Gefängnispopulationen aufgezeigt werden. In forensischen Stichproben fanden sich Zusammenhänge zwischen Beschränkungen der Lebensqualität und erhöhter Feindseligkeit, Depressivität und Suizidgedanken (Franke et al.
2019). Auch Büsselmann et al. (
2020) konnten anhand einer Stichprobe von 159 Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten darstellen, dass eine hohe Lebensqualität Depressivität, Hoffnungslosigkeit und Suizidgedanken reduzieren kann. Bouman et al. (
2008) postulieren, dass die Erhebung der Lebensqualität zu Beginn der Unterbringung Aufschluss über zu behandelnde Problembereiche geben kann und somit den Behandlungserfolg erhöhen kann. Eben jene erfolgreiche Behandlung ist im Maßregelvollzug zentral, um das Risiko für erneute Delinquenz zu reduzieren und die Maßregel zu beenden (Müller et al.
2017).
Parallel zu den in der Unterbringung inhärenten Einschränkungen in der Lebensführung stellt auch die affektive Verfassung der Untergebrachten einen großen Einflussfaktor auf die Lebensqualität dar (Bullinger et al.
2019), wobei eine zum depressiven Pol verschobene Affektivität negativ mit der Lebensqualität assoziiert ist (Kolovos et al.
2016; Püschner
2012; Renneberg und Lippke
2006). Durch eine Verbesserung der Lebensqualität treten weniger depressive Symptome auf, umgekehrt verbessert sich die Lebensqualität, wenn depressive Symptome reduziert werden (Büsselmann et al.
2020; Franke et al.
2019; Müller et al.
2017; Ruchalla
2017; Sharma et al.
1995). Um eine Belastung durch depressive Symptome zu reduzieren, sollten die Dimensionen der Lebensqualität identifiziert werden, welche die Betroffenen als eingeschränkt bewerten (Büsselmann et al.
2020; Franke et al.
2019; Kolovos et al.
2016; Ruchalla
2017).
Ziele
Diese Arbeit soll einen weiteren Schritt in der Erforschung der Lebensqualität im Maßregelvollzug darstellen und dieses wenig untersuchte Forschungsfeld bereichern. Hierfür wurden zunächst (1) die Einschätzung der Lebensqualität sowie Depressionswerte in einer Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie erhoben und berichtet.
Um zu identifizieren, welche Bereiche der Lebensqualität für das Auftreten depressiver Symptome besonders relevant sind, und welche Zusammenhänge zwischen Lebensqualität und Depressivität bestehen, wurden (2) Unterschiede in der Lebensqualität zwischen depressiv auffälligen und nichtauffälligen Teilnehmenden untersucht.
Während suchtkranke Untergebrachte in der Regel maximal 2 Jahre im Maßregelvollzug verbleiben, liegt die mittlere Unterbringungsdauer für psychisch kranke Straftäterinnen und Straftäter bei ca. sechseinhalb Jahren (de Tribolet-Hardy und Habermeyer
2016; Dessecker
2008). Dementsprechend befinden sich im Maßregelvollzug Untergebrachte oft lange Zeit in ihren Einrichtungen und sind den einhergehenden Einschränkungen über lange Zeiträume ausgesetzt, weswegen (3) ein Einfluss der Unterbringungsdauer auf die Depressivität untersucht wurde.
Es sollen Implikationen für Forschung und Behandlungspraxis gewonnen werden, um die Lebensbedingungen im Maßregelvollzug an gegebener Stelle zu verbessern und die Belastung durch depressive Symptome zu verringern. Dies kann zur Verbesserung der Versorgungs- und Unterbringungsqualität im Maßregelvollzug beitragen.